Und alle so: “Fedi… Was? Hör’ mir auf damit! Schon wieder so ‘n soziales Netz-Ding wo ich mich anmelden soll?!”

Zuerst einmal…

Das Fediverse mit seinen Diensten wie Mastodon, Pixelfed oder Friendica ist in aller Munde. Zumindest immer wieder dann, wenn ein neuer Datenskandal die Netzwelt erschüttert, oder der milliardenschwere CEO eines Elektroautoherstellers die Übernahme von Twitter androht. Aber warum verstehen die meisten nur Bahnhof, wenn von föderierten Social Media Diensten gesprochen wird? Warum scheuen sich viele, es zumindest mal zu versuchen? Vielleicht, weil das Grundprinzip im Fediverse ein anderes ist und somit – bedingt durch Missverständnisse – kompliziert oder unbrauchbar klingt. Das möchte ich mit einer Reihe von Beiträgen thematisieren, wovon dieser der erste sein soll. Denn: So anders und neu ist das Prinzip gar nicht – doch dazu in einem späteren Beitrag mehr.

Hinweis: Das Fediverse ist nicht zwangsläufig auf Social Media Angebote beschränkt. Auch andere Dienste können unter dem Begriff Fediverse eingeordnet werden, alles eine Frage der Definition. Allerdings wird es in letzter Zeit hauptsächlich mit Alternativen zu Twitter, Facebook und Instagram assoziiert. Von dem her möchte ich vorerst genau hier ansetzen.

Bevor ich also näher auf das Fediverse eingehe und in meinen späteren Beiträgen erkläre, was es ist, was seine Dienste bieten, wie man es nutzt und warum es so toll ist, sollten wir uns zunächst fragen, warum wir nicht einfach alles so belassen, wie es ist. Immerhin verzeichnete Facebook im zweiten Quartal 2022 unglaubliche 2,93 Milliarden (!!!) aktive NutzerInnen pro Monat (Quelle: Statista). Muss ja “gut” sein, wenn es so viele nutzen, oder? Nein, es ist nicht unbedingt so gut…

Das Problem mit den Daten

Stell dir vor, du siehst dein letztes Urlaubsfoto, welches du nichtsahnend auf Facebook oder Instagram hochgeladen hast, ein paar Monate später als Titelbild irgendeiner Online-Werbeanzeige. Klingt komisch, kann aber rein theoretisch passieren.

Ehrlich gesagt, habe auch ich mir die Nutzungsbedingungen von Facebook & Co. noch nie durchgelesen. Diese sind vermutlich eh so verfasst, dass ein normaler Mensch sich schwertut, alles bis ins Detail zu begreifen. Aber wenn du verstehst, wie ein gewinnorientiertes Unternehmen einen Dienst wie Facebook betreiben und kostenlos anbieten kann, dann siehst du, dass es gar nicht so kostenlos ist: Du bezahlst im Prinzip mit deinen Daten.

Genauer gesagt gibst du Facebook durch Akzeptieren der Nutzungsbedingungen das Recht, deine Daten (also alles, was du postest, einschließlich Fotos) zu sammeln und zu verwerten. Diese Verwertung beinhalten auch das Verkaufen an Dritte. Doch es geht nicht nur um Content, den du wissentlich veröffentlichst. Es geht auch um unwissentliche Interaktion im gesamten Netzwerk: Um Beziehungen zu anderen Personen, Orte, die du besucht hast, Produkte, die du dir angesehen hast, deine Vorlieben, und so weiter. Aus all diesen Informationen bastelt ein Algorithmus dann das digitale Abbild deiner selbst: Wer du bist, Geschlecht, Alter, Hautfarbe, geschätztes Einkommen, politische Ausrichtung, Religion, sexuelle Orientierung. Und ja, auch diese Daten werden nicht nur von Facebook selbst verwendet, sondern eben auch an Dritte verkauft. Leider nicht nur zum Zwecke von Werbung, sondern sogar auch um Wahlen gezielt zu beeinflussen – siehe Cambridge Analytica Skandal.

Ich persönlich bin davon ausgegangen, dass sich dem Risiko eines solchen Geschäftsmodells so ziemlich jeder bewusst ist, der Facebook nutzt, aber dem ist anscheinend nicht so. Im Gegenteil: Nur wenige wissen, dass sie überhaupt mit ihren Daten “bezahlen”. Eine Umfrage aus dem Jahr 2018 ergab, dass sich nur 37 % der befragten Personen darüber im Klaren waren, dass Facebook ihre Daten mit Dritten teilt. 20 % waren sogar der Meinung, dass Facebook es nicht tut (Quelle: Rothmann et al., Universität Wien). Eine erschreckende Unwissenheit.

Die Sache mit dem Content

Ach, wie schön war es damals, in der guten alten Zeit, als wir auf MySpace noch Party-Fotos mit (echten) Freunden und Freundinnen teilten, oder uns für die abendliche Kneipentour verabredeten…

Und jetzt? Ich nenne mal einen positiven Aspekt von Facebook: Ich werde über Veranstaltungen informiert. Nice! Das war es aber auch schon. Zwischen tausenden von Werbeanzeigen und Videos von jungen Mädels, die anscheinend Spaß daran haben, vor der Kamera alberne Tänze aufzuführen, ist es schwer, sinnvollen und nützlichen Content zu finden. Habe ich schon die ach so lustigen Tier-Videos erwähnt? Das, was Facebook und Instagram mir mittlerweile servieren, ähnelt eher dem RTL 2 Vormittagsprogramm für Langzeitarbeitslose.

Ein Freundes-Netzwerk ist das alles schon lange nicht mehr, eher ein fragwürdiger Informationsdienst, ein Sammelbecken für Verschwörungstheorien und rechtes Gedankengut. Du möchtest Hass, Hetze & Fake News verbreiten? Willkommen auf Facebook, dem “Freundes-Netzwerk” 👎🏼

Hinweis: Selbstverständlich kann solch qualitativ minderwertiger oder gefährlicher Content auch in den sozialen Diensten des Fediverse verbreitet werden. Allerdings wird die verantwortliche Person dann meist recht schnell "ausgeschlossen". Doch dazu in einem späteren Beitrag mehr.

Und dann ist da noch die Sache mit der Art und Weise, wie manche NutzerInnen meinen, eventuell nützliche Informationen teilen zu müssen. Ich spreche von dem idiotischen Trend, Text als Bild zu veröffentlichen. Anstatt den blanken Text zu posten, wird dieser Text in einem Generator eingegeben, der das Ganze als Bild bereitstellt, welches dann in sozialen Medien hochgeladen werden kann. Muss ich dazu noch was sagen?

  • Ein Screenreader, auf den sehbehinderte Menschen angewiesen sind, kann damit nichts anfangen.
  • Auf der Suche nach Informationen die effektive Volltextsuche nutzen? Fehlanzeige!
  • Unnötigen Datenverbrauch verursachen? Yeah! Es gibt noch immer Leute, denen wenig mobiles Datenvolumen zur Verfügung steht.

Think about it 🙈 Wenn dir das auch alles auf den Keks geht, bist du vielleicht im Fediverse besser aufgehoben.

Ignoranz & Verschlossenheit gegenüber Alternativen

Das mag nun meine ganz persönliche Meinung sein, aber ich bin extrem genervt von der Tatsache, dass viele Bekanntschaften Dienste wie Facebook oder WhatsApp als Quasi-Standard ansehen.

Wie, du nutzt den Facebook-Messenger nicht? Wie soll ich dir denn dann schreiben? Und WhatsApp willst du deinstallieren? Wie sollen wir denn nun den Kontakt aufrechterhalten?

Ähm… schick’ mir ‘ne E-Mail?!

Tja, leider ist es mittlerweile wirklich so weit gekommen. Absolut unsichere Dienste wie WhatsApp oder der Messenger von Facebook werden von der Mehrheit als Kommunikationsmedium “vorgeschrieben”. Muss ich mich dem beugen? Nicht wirklich, denn wenn ich keine Lust habe, werbefinanziert Dienste zu nutzen, die ich als riskant einstufe, sehe ich mich im Recht.

Somit kannst auch du dich fragen, ob du einen gewissen Dienst nutzen musst, nur weil es alle anderen tun. Alternativen gibt es genug, nicht nur im Fediverse. Klar, vielleicht schreckst du davor zurück, dir eine neue App oder einen neuen Dienst anzueignen. Aber da die digitale Kommunikation ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens geworden ist, sollten sich alle, die bereit für einen Wechsel sind, die Zeit nehmen, und sich mit den Alternativen beschäftigen. Die Lernkurve ist meist steil und immerhin geht es hier um äußerst private Kommunikation mit Familie, Freunden und Freundinnen.

Erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang aber auch die Qualität geteilter Daten – im wahrsten Sinne des Wortes. Gefühlt verschicken 99,9 % aller meiner Kontakte Fotos per WhatsApp oder nutzen dafür andere fragwürdige Messenger, ohne zu wissen, dass die Medien dabei sehr stark komprimiert werden. Mit solchen Bildern ein Fotobuch drucken lassen? Nope, aufgrund der niedrigen Qualität dieser digitalen Fotos nicht mehr möglich. Klar, dafür kann Facebook nichts, es liegt am mangelnden technischen Wissen der NutzerInnen. Wenn ich diesen Personen allerdings Alternativen aufzeige, wie beispielsweise das sichere Filesharing über meine private Cloud, stoße ich immer wieder auf Ablehnung. Und da sind wir wieder beim Thema der Ignoranz und dem nicht vorhandenen Lernwillen bezüglich einer sicheren und modernen Lösung bzw. Alternative, denn immerhin machen Facebook, WhatsApp & Co. doch alles richtig, oder?

Zensur

Bei Diensten wie Facebook & Co. handelt es sich nicht um föderierte Dienste (mehr dazu in einem späteren Beitrag). Das bedeutet unter anderem, dass der Anbieter eines solchen Dienstes sämtliche Zügel in der Hand hält und somit auch die Regeln, welche für alle NutzerInnen gelten, vorschreibt.

Dass diese Regeln zunächst recht lasch waren, haben wir alle während der Pandemie bemerkt. VerschwörungstheoretikerInnen und Co. hatten freie Bahn, um ihren Mist in den sozialen Medien zu verbreiten. Von dem her kann man es natürlich als wünschenswert erachten, dass der Anbieter eines Dienstes gewisse Inhalte verbietet. Nur leider kann der Schuss auch sehr schnell nach hinten losgehen.

Ein schönes Foto vom letzten Strandurlaub hochladen? Cool. Nur leider ist irgendwo im Hintergrund oder am Bildrand zur Hälfte der nackte Hintern eins Kleinkindes zu sehen, welches dort zufälligerweise im Sand spielt. Schwups – Foto als Kinderpornografie identifiziert, Account gesperrt, Behörden am Hals… Mag jetzt ein extremes Beispiel sein, aber ähnliches ist in diesem Jahr schon passiert: Caschys Blog

Selbst dein ironisch gemeinter Post, mit dem du dich über rechtsradikale Hohlköpfe lustig machst, könnte zur Sperrung führen, da ein computergestütztes Zensur-System die Ironie vermutlich nicht versteht. Ebenso könnte eines deiner hoch geladenen Fotos, das vom Algorithmus fälschlicherweise als unzulässig erkannt wird, im Nachhinein für Ärger sorgen und im schlimmsten Falle sogar gerichtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Es scheint, als hätten die Anbieter ihre Regeln und Zensur-Maßnahmen immer noch nicht richtig im Griff.

Sicherheit

Fast alle nicht föderierten Dienste gewinnorientierter Unternehmen setzen auf “Closed Source”. Wie bitte? Closed Source, vereinfacht gesagt: Der Programm-Code, der der Software zugrunde liegt, wird geheim gehalten – so wie Coca-Cola seine Rezeptur unter Verschluss hält. Kein Außenstehender und keine Außenstehende haben die Möglichkeit, Einsicht zu nehmen.

Werden deine Daten verschlüsselt gespeichert? Welcher MitarbeiterIn des Unternehmens hat Zugriff auf welche Daten von dir? Ist die eingesetzte Software aktuell und sicher, oder gibt es vielleicht Lücken? Was, wenn ja, und ein böswilliger HackerIn eine solche Sicherheitslücke findet und ausnutzt? Auch mag es schon vorgekommen sein, dass sich ein Unternehmen seines fehlerhaften Source Codes zwar bewusst gewesen ist, das Problem aber schlichtweg unter den Tisch gekehrt oder die Gefahr heruntergespielt hat.

Ein solcher, auch Datenleck genannter Vorfall, sorgt ganz schnell dafür, dass deine persönlichen Daten in den Händen richtig unangenehmer Gesellen und Gesellinnen landen. Vielleicht sogar inklusiver deiner Zugangsdaten, was natürlich richtig mies ist, wenn du diese auch für andere Dienste verwendest.

Um es vorwegzunehmen: Die Dienste im Fediverse nutzen “Open Source” Software, was genau dem Gegenteil zu Closed Source entspricht. Warum das aber nun besser und sicherer ist, werde ich in einem späteren Beitrag ausführlich erklären.

Und nun?

Versteh mich nicht falsch: Es geht mir nicht darum, irgendwelchen Anbietern ein paar Kunden abzuwerben. Das würde diese milliardenschwere Industrie sowieso nicht jucken. Stattdessen möchte ich den Personen, die technisch weniger versiert sind, die Problematik aufzeigen und sie evtl. dazu bewegen, sich Alternativen anzusehen.

Bezugnehmend auf den zweiten Absatz und die Frage, ob wir nicht einfach alles so belassen sollten, wie es ist: Nun, wenn dich all diese Dinge, die ich in diesem Beitrag angesprochen habe, nicht stören oder sie dich nicht nachdenklich stimmen, dann gibt es für dich auch keinen Grund, Facebook & Co. den Rücken zu kehren. Das ist vollkommen okay. Aber falls du die – meiner Meinung nach besseren – Dienste des Fediverse nutzen oder parallel zu deinen bestehenden Accounts ausprobieren möchtest, dann will ich dir mit den noch folgenden Beiträgen den Einstieg erleichtern sowie Tipps und Tricks zur optimalen Nutzung geben. Denn was diese Dienste bieten, ist wirklich genial.